Qualität und Transparenz in der Versorgung
10-03-2017 - Am 9. März hat der Deutsche Bundestag eine wichtige Reform zur Arzneimittelversorgung in Deutschland beschlossen, das sogenannten Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AM-VSG). Wir haben mit dem Gesetz als Ergebnis des Pharma-Dialogs einen vernünftigen Kompromiss erarbeitet und den Fokus auf Transparenz und Qualität in der Versorgung gelegt.
Hintergrund
Die Entwicklung innovativer Arzneimittel und neuer Wirkstoffe ist nicht nur wichtig für eine gute Gesundheitsversorgung, sondern auch für die Gesundheitswirtschaft in Deutschland. Aus diesem Grund haben das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie das Bundeswirtschaftsministerium in den vergangenen zwei Jahren einen intensiven Dialog mit Vertretern der pharmazeutischen Verbände, der Wissenschaft und der IG BCE geführt. Das erste gesetzgeberische Ergebnis dieses sogenannten Pharmadialogs ist das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz.
Ziel des Gesetzes
Ziel des Gesetzes ist die Weiterentwicklung des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG), das seit 2012 die Preisfindung neuer Arzneimittel in Deutschland regelt. Kern des AMNOG-Verfahrens ist, dass jedes neue Medikament, das von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird, in Deutschland einer wissenschaftlichen Nutzenbewertung unterzogen wird. Dabei wird anhand von Unterlagen des Herstellers geprüft, ob das Präparat einen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (d.h. einer bereits existierenden Therapie oder einem Medikament) aufweist. Auf der Grundlage der Nutzenbewertung führen dann Hersteller und der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) Preisverhandlungen. Ab dem zweiten Jahr nach Markteinführung gilt der von Hersteller und GKV-Spitzenverband ausgehandelte Erstattungsbetrag. Wird kein Zusatznutzen nachgewiesen, führen Hersteller und GKV-Spitzenverband ebenfalls Preisverhandlungen, wobei der Erstattungsbetrag nicht höher liegen darf als bei der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Im ersten Jahr nach Markteinführung können die Hersteller den Preis frei festsetzen.
Nach intensiven Verhandlungen konnte die SPD wichtige Änderungen im AM-VSG gegenüber dem Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums durchsetzen:
Keine Geheimpreise
Eine der Hauptforderungen der Pharmahersteller aus dem Pharmadialog war es, die öffentliche Listung der Preise ihrer Medikamente, die sie mit dem GKV-Spitzenverband verhandeln, zu verbieten. Danach wäre also nicht mehr öffentlich bekannt gewesen, wieviel die Krankenkassen für ein neues Präparat zahlen.
Dies haben wir von Anfang an entschieden abgelehnt und haben uns hier erfolgreich durchgesetzt. Für eine öffentliche und transparente Debatte über die Medikamentenpreise in Deutschland muss die Preishöhe bekannt sein, vor allem dann, wenn sehr viel für neue Medikamente gezahlt wird. Wir haben der Argumentation der Pharmaindustrie, dass sie bei Geheimhaltung niedrigere Erstattungsbeträge vereinbaren könnten, ganz klar widersprochen.
Außerdem ist es nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot der gesetzlichen Krankenversicherung für Ärzte und Apotheker zwingend erforderlich, den Preis der Medikamente zu kennen, da sie bei der Auswahl verschiedener gleichwirkender Präparate angehalten sind, das günstigste zu verschreiben und auszugeben. Eine Geheimhaltung wäre an dieser Stelle absolut kontraproduktiv.
Lieferengpässe
Immer wieder gibt es von Krankenhäusern Beschwerden, dass sie Medikamente nicht mehr von den Herstellern geliefert bekommen und dass damit Probleme bei der Versorgung vor allem von schwer kranken Patientinnen und Patienten auftreten.
Wir werden daher die Pharmahersteller verpflichten, die Krankenhäuser umgehend über einen dem Pharmaunternehmen bekannten Lieferengpass eines Medikaments zu informieren. Die Krankenhäuser dürfen Medikamente zukünftig in angemessenem Umfang vorrätig halten, um bei Engpässen vorbereitet zu sein.
Zusätzlich erhalten die Krankenhausapotheken das Recht, Medikamente, die nicht mehr geliefert werden können, auch im Ausland einzukaufen, um die Versorgung sicherzustellen.
Kinder- und Jugendgesundheit
Seit rund 20 Jahren verweisen Experten auf das Problem der unzureichenden Arzneimittelversorgung für Kinder und Jugendliche. So sind etwa 20 Prozent der Arzneimittelverordnungen im ambulanten und beinahe 70 Prozent der Verordnungen im stationären Bereich außerhalb oder ohne eine formale Zulassung.
Die Arzneimittelsicherheit für Kinder und Jugendliche muss gestärkt werden. Deshalb haben wir im Gesetz die Übertragung von Evidenz bei Kinderarzneimitteln verankert. Zudem haben wir Neuerungen im Bereich Festbetrag geschaffen, die gerade den jungen Patientinnen und Patienten zu Gute kommen. Denn die bestehenden Festbetragsregelungen führen dazu, dass nicht ausreichend Arzneimittel mit neuen alters- und kindergerechten Darreichungsformen, also Säfte und Lösungen, zur Verfügung stehen.
Um dem entgegenzuwirken, haben wir eine gesonderte Berücksichtigung altersgerechter Darreichungsformen für Kinder bei der Bildung von Festbetragsgruppen beschlossen.
Der Markt für Kinderarzneimittel ist deutlich kleiner und damit weniger profitabel als der Markt für Erwachsenenmedikamente. Die Marktkräfte alleine reichen leider nicht aus, um die Entwicklung von Medikamenten für Kinder voranzutreiben. Deshalb haben wir als Gesetzgeber eine Hilfestellung geschaffen.
Verbot der Ausschreibungen bei Impfstoffen und Zytostatika
Bisher wurden Impfstoffe und Zytostatika (Medikamente zur Krebsbehandlung) von den Krankenkassen ausgeschrieben. Bei Impfstoffen kamen damit nur bestimmte Hersteller, bei Zytostatika nur bestimmte Apotheken zum Zug. In beiden Bereichen hat sich gezeigt, dass Ausschreibungen nicht immer das Mittel der Wahl sind, wenn es darum geht, die Versorgung sicherzustellen.
Die Ausschreibungspraxis bei Impfstoffen und Zytostatika wird nun beendet. Bei Zytostatika laufen bestehende Verträge mit Apotheken drei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes aus. Die Verträge der Krankenkassen mit Impfstoffherstellern laufen noch bis zum vereinbarten Vertragsende. Es dürfen aber keine neuen Verträge mehr geschlossen werden.
Apothekenhonorar
Die Apotheken profitieren einerseits vom Stopp der Ausschreibungen für Zytostatika, da nun wieder alle Zytostatika-herstellenden Apotheken die Patientinnen und Patienten versorgen dürfen. Andererseits haben wir im AM-VSG vereinbart, dass die finanziellen Zuschläge für Rezepturen erhöht werden und die Apotheker eine zusätzliche Vergütung für dokumentationsaufwendige Arzneimittel wie Betäubungsmittel erhalten. Insgesamt steigt das Honorar der Apotheker damit um fast 120 Millionen Euro pro Jahr.
Verlängerung des Preismoratoriums
Für Arzneimittel, die ansonsten keinen Preisregulierungen, wie einem Festbetrag oder Erstattungsbetrag unterliegen, gibt es seit August 2010 ein Preismoratorium, welches den Abgabepreis für ein Medikament auf dem Preisstand vom 1. August 2009 hält und keine Preissteigerungen zulässt.
Mit dem AM-VSG wird das Preismoratorium bis zum Ende des Jahres 2022 zur Sicherung der finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung verlängert. Eine jährliche Preisanpassung, die sich an der Inflationsrate orientiert, wird ermöglicht.
Antibiotika
Durch den vermehrten Einsatz von Antibiotika nehmen Resistenzen immer mehr zu. Gleichzeitig stockt die Forschung für neue Antibiotika, was zu ernsthaften Behandlungsproblemen führen kann. Wir haben daher die Antibiotikaversorgung verbessert. Werden neue Antibiotika auf den Markt gebracht, muss bei der Bewertung des Zusatznutzens die Resistenzsituation berücksichtigt werden.
Dadurch sollen neue Antibiotika einfacher einen Zusatznutzen erhalten und damit für den Hersteller höhere Beträge erzielt werden. Gleiches gilt für die Einordnung von Antibiotika in Festbetragsgruppen. Auch hier muss die Resistenzsituation berücksichtigt werden, um z.B. Reserve-Antibiotika nicht in eine Festbetragsgruppe einzuordnen und damit den Preis nicht abzusenken.
Perspektiven
Mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz sind uns wichtige Verbesserungen für die Arzneimittelversorgung in Deutschland gelungen. Wir haben mit dem Gesetz, als Ergebnis des Pharmadialogs, einen vernünftigen Kompromiss erarbeitet und einen eigenen Fokus auf Transparenz und Qualität in der Versorgung gelegt. Gleichzeitig haben wir die Verschiebung des Gleichgewichts zwischen Pharmaindustrie und Krankenkassen bei der Preisfindung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verhindert. Wir hätten uns sicher weitergehende Regeln gewünscht, diese waren aber mit unserem Koalitionspartner nicht möglich.
Perspektivisch müssen wir darüber nachdenken, ob wir innerhalb der EU weiter das einzige Land sein wollen, in dem alle neu zugelassenen Arzneimittel zunächst zum Wunschpreis des jeweiligen Herstellers in den Markt eingeführt werden können.
Um für Patientinnen und Patienten langfristig den Zugang zu einer modernen Arzneimitteltherapie und zu echten Innovationen erhalten zu können und gleichzeitig die Finanzierbarkeit sicherstellen zu können, müssen wir weiter an einem ausgewogenen Ausgleich der Interessen.