Mehr Gerechtigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
2017-08-21 Die Arbeit nimmt einen ganz wesentlichen Platz in unserem Leben ein. Arbeit dient dem Broterwerb, sie kann befriedigend sein und manchmal sogar Selbstverwirklichung bedeuten. Einen großen Teil des Tages verbringen viele von uns mit ihr. Gute Arbeit ist die Grundlage für unseren Wohlstand und die soziale Sicherheit in unserer Gesellschaft. Das Beschäftigungsniveau hat einen Rekordstand erreicht. Und die Steuereinnahmen sind aufgrund einer insgesamt guten wirtschaftlichen Lage so hoch wie nie zuvor. Aber der wachsende Wohlstand kommt bei vielen Menschen nicht oder nicht ausreichend an. Dafür zu sorgen, dass alle an der guten wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahre teilhaben können, ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und Kernaufgabe der Sozialdemokratie. Ich bin überzeugt: Wir brauchen mehr Gerechtigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dazu gehören insbesondere mehr Tarifbindung, gute Löhne, gleiche Bezahlung von Männern und Frauen und das Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit.
Warum brauchen wir mehr Gerechtigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?
Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der jede und jeder selbstbestimmt leben kann und Lebenschancen möglichst gleich verteilt sind. Unser großes Ziel soziale Gerechtigkeit ist ohne umfassende und echte Teilhabe für alle nicht zu erreichen. Ohne ein gewisses Maß an Gleichheit gibt es keine soziale Gerechtigkeit. Das ist für mich nicht nur eine moralische Frage, sondern auch eine Frage der Vernunft: Wohin wachsende soziale Ungleichheit führt, sehen wir am Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen in ganz Europa und darüber hinaus. Zu große soziale Ungleichheit hemmt unser Wirtschaftswachstum und gefährdet unseren Wohlstand. Das belegen Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OECD).
Leider ist es Realität, dass die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ungleichheiten auch in unserer Gesellschaft zunehmen. Wir wissen aus dem 5. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, dass 50 Prozent des gesamten Nettovermögens in den Händen von nur 10 Prozent der Bevölkerung liegen. Die unteren 50 Prozent besitzen zusammen nur ein Prozent des Vermögens. Das ist ungerecht: Denn wer reicher ist, hat nicht nur mehr Chancen, Einfluss und Teilhabemöglichkeiten. Sondern er lebt auch gesünder, länger und bleibt dabei länger gesund. Wenn die Bundesregierung in diesem Bericht außerdem feststellt, dass die Reallöhne der unteren 40 Prozent der Beschäftigten seit Mitte der 1990er Jahre stagnieren oder sogar sinken und nur die oberen 60 Prozent zugelegt haben, ist das ein Problem. Diese Entwicklung spaltet unsere Gesellschaft. Da müssen wir gemeinsam mit den Gewerkschaften und auch den Arbeitgebern ran.
Im internationalen Vergleich zeigt sich laut Hans-Böckler-Stiftung, dass die soziale Mobilität, insbesondere zwischen den Generationen, in fast keinem Land so niedrig ist wie in Deutschland. Das heißt: In kaum einem anderen Land hängen die Lebensperspektiven so stark von der sozialen Herkunft ab wie hierzulande. Die soziale Herkunft darf aber nicht ausschlaggebend für die Perspektiven des eigenen Lebens sein.
Erfolge der SPD in der Großen Koalition
Der Mindestlohn, die Frauenquote für Aufsichtsräte, mehr Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit dem ElterngeldPlus, die Einschränkung von Leiharbeit und Werkverträgen und das Tarifeinheitsgesetz – das sind noch nicht einmal alle sozialdemokratischen Erfolge dieser Legislatur, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern direkt zugutekommen. Aber es ist längst nicht alles gut. Wir dürfen uns nicht auf unseren Erfolgen ausruhen.
Da wo wir in der Koalition Kompromisse eingehen mussten (wie in allen Koalitionen) – zum Beispiel bei den Ausnahmen vom Mindestlohn - müssen wir in der nächsten Legislatur nachsteuern. Und in manchen Punkten haben die Unionsparteien leider überhaupt keinen Willen zur Einigung gezeigt. Prominente Beispiele sind das eigentlich im Koalitionsvertrag vereinbarte Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit oder das Entgeltgleichheitsgesetz.
Unsere Ziele und Forderungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Unser Ziel ist unbefristete Arbeit, die sozial abgesichert und nach Tarif bezahlt ist. Deshalb wollen wir einen Pakt für anständige Löhne und eine stärkere Tarifbindung. Wir wollen eine starke Wirtschaft und Unternehmen, die gute Arbeitsplätze schaffen. Die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt müssen wir so ändern, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit mehr Zuversicht in die Zukunft blicken können. Deshalb werden wir die sachgrundlose Befristung abschaffen, um insbesondere jungen Menschen Perspektiven und mehr Planbarkeit für ihr Berufs- und Privatleben zu ermöglichen. Die Sachgründe für Befristungen werden wir einschränken und Kettenbefristungen begrenzen.
Existenzsichernde Arbeit anstelle prekärer Beschäftigung
Wir wollen existenzsichernde Arbeit anstelle prekärer Beschäftigung ermöglichen. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter und Werkvertragsnehmerinnen und –nehmer brauchen besseren Schutz. Mit der Einführung der Höchstüberlassungsdauer und dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ haben wir bereits einiges erreicht. Diesen Weg werden wir weitergehen. Unser Ziel ist, dass Leiharbeit vom ersten Tag an genauso vergütet wird, wie in der Stammbelegschaft. Davon darf nur durch repräsentative Tarifverträge abgewichen werden. Die Koppelung eines Leiharbeitsverhältnisses an einen Arbeitseinsatz (Synchronisation) soll unzulässig sein. Den Missbrauch von Werkverträgen werden wir bekämpfen. Wir werden die Mitbestimmung der Betriebsräte beim Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen deutlich ausbauen. Denn wir wollen auch mehr Demokratie im, das heißt mehr Mitbestimmung auf Augenhöhe! Es darf nicht sein, dass Menschen, die zum Beispiel Betriebsräte gründen wollen, dafür von ihren Arbeitgebern gemobbt werden. Deshalb wollen wir alle besser schützen, die sich im Betrieb engagieren.
Die arbeitnehmerfeindliche und immer weiter ausufernde Verbreitung von „Arbeiten auf Abruf“ werden wir eindämmen. Auch geringfügige Beschäftigung wollen wir abbauen, ihren Missbrauch bekämpfen und Beschäftigten den Weg aus Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeit öffnen.
Die Ausnahmen beim Mindestlohn für Langzeitarbeitslose werden wir abschaffen. Wo reguläre Arbeit geleistet wird, muss auch regulär bezahlt werden. Die Ausnahmen für die unter 18-Jährigen werden wir auf ihre Auswirkungen hin evaluieren und streben, wo möglich, ihre Aufhebung an.
Pakt für anständige Löhne und eine stärkere Tarifbindung
Wir wollen einen Pakt für anständige Löhne und eine stärkere Tarifbindung. Voraussetzungen für gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen in allen Branchen sind starke Gewerkschaften und hohe Tarifbindung. Deshalb werden wir den eingeschlagenen Weg der gesetzlichen Privilegierung von Tarifpartnerschaft fortsetzen. Tarifgebundenen Betrieben geben wir mehr Gestaltungsmöglichkeiten als Betrieben ohne Tarifbindung. Die Möglichkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen werden wir weiter verbessern und die Voraussetzungen dafür präzisieren. Die Rechtssicherheit der allgemeinen Verbindlichkeit von Tarifverträgen muss gegebenenfalls auch rückwirkend gewährleistet sein. Wir wollen die kollektive Nachwirkung von Tarifverträgen, etwa im Falle der Auslagerung von Betrieben oder Betriebsstellen, bis zur Ablösung durch einen neuen Tarifvertrag. Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge müssen Tariftreue-Regelungen verstärkt zum Einsatz kommen. Um die Rechte der Beschäftigten besser zu schützen, werden wir ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften einführen.
Gute Arbeit in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft
Unsere Forderungen nach gute Arbeit gelten gerade auch für die vielen Beschäftigten in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft. Auch für sie wollen wir eine Beschäftigungspolitik, die soziale Dienstleistungen stärkt. Um der Zersplitterung der arbeitsrechtlichen Vereinbarungen und der Tarifabschlüsse zu begegnen, brauchen wir dringend einen Branchentarifvertrag Soziales. Träger, Dienste und Einrichtungen sind hier genauso gefordert wie Bund, Länder und Kommunen. Denn sie setzen nicht nur die Rahmenbedingungen, sondern haben auch eine Vorbildfunktion als Arbeitgeber.
Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt mit dem Entgeltgleichheitsgesetz und dem Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit
Zu guter Arbeit gehört auch die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, gleiche Chancen am Arbeitsmarkt und eine bessere Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Engagement. Dafür brauchen wir endlich ein Entgeltgleichheitsgesetz und das Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit. Wir wollen endlich die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Arbeitswelt erreichen.
Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt beenden
Frauen werden auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt: Nach wie vor bekommen Frauen für gleiche und gleichwertige Arbeit deutlich weniger Geld als ihre männlichen Kollegen. Die bereinigte Lohnlücke liegt bei 7 Prozent, die unbereinigte sogar bei 21 Prozent. Bei der Rente ist der Unterschied noch größer, die Rentenlücke liegt bei 54 Prozent.
Während die Zahl der Vollzeitbeschäftigten in den vergangenen 20 Jahren von 25,9 Millionen auf 24 Millionen gesunken ist, stieg die Zahl der Teilzeitbeschäftigten von 8,3 Millionen auf 15,3 Millionen im vergangenen Jahr an. Nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nehmen vor allem Frauen verstärkt Teilzeit in Anspruch – mehrheitlich freiwillig, aber in vielen Fällen auch ohne es zu wollen. Denn viele Frauen möchten zwar ihre Stundenzahl erhöhen, stecken aber in der sogenannte Teilzeitfalle fest. Diese Falle führt nicht nur zu niedrigeren Arbeitseinkommen in der Gegenwart, sondern auch zu deutlich niedrigen Renten und Altersarmut in der Zukunft.
Deshalb wollen wir existenzsichernde Arbeit anstelle prekärer Beschäftigung. Wir wollen das Teilzeit- und Befristungsgesetz reformieren – vor allem hinsichtlich der Regelungen zum Recht auf befristete Teilzeit, also das Rückkehrrecht von Teil- in Vollzeit und der Teilhabe an Qualifizierungsmaßnahmen.
Gleiches Geld für gleiche Arbeit für Frauen und Männer
Mit dem Transparenzgesetz haben wir in dieser Legislatur einen ersten Schritt getan und der Lohnungleichheit bei Frauen und Männern den Kampf angesagt. Gemeinsam mit den Tarifpartnern werden wir die sozialen Berufe aufwerten, in denen vor allem Frauen arbeiten. Dazu zählen die Berufsfelder Gesundheit, Pflege, Betreuung und frühkindliche Bildung. Wir wollen die verschulten Berufe möglichst bald in das bewährte duale System mit Ausbildungsvergütung und Schulgeldfreiheit beziehungsweise in duale Studiengänge überführen.
In einem zweiten Schritt wollen wir das Transparenzgesetz zu einem Engeltgleichheitsgesetz mit Verbandsklagerecht weiterentwickeln. Dabei werden wir die Beschäftigten in kleinen und mittleren Betrieben einbeziehen, denn hier sind die meisten Frauen beschäftigt. Wir werden die Transparenz mit Hilfe umfassender Auskunftsansprüche verbessern. Außerdem wollen wir verpflichtende Prüfverfahren der Entgeltstrukturen nach vorgegebenen Kriterien auch schon in Unternehmen ab 50 Beschäftigten einführen.