HHVG: Mehr Rechte für Patienten
20-02-2017 - Der Deutsche Bundestag das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) beschlossen. Die neuen Regelungen werden überwiegend ab März 2017 in Kraft treten. Wir stellen mit dem Gesetz die Weichen für eine patientengerechte, aber finanzierbare Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln.
Das Gesetez war kein Bestandteil des Koalitionsvertrags und resultiert aus einer Initiative des Parlaments. Ausschlaggebend war eine Petition zum Thema Inkontinenzversorgung. Die Petition weist auf massive Missstände in der Versorgung mit aufsaugenden Hilfsmitteln hin. Ein Großteil der Krankenkassen arbeitet bei der Versorgung mit Inkontinenzprodukten inzwischen mit Pauschalen, die bei weitem nicht ausreichen, um die Versicherten mit vernünftigen Produkten zu versorgen.
Patienten berichteten davon, dass ihnen von ihren Krankenkassen nur eine geringe Menge einfachster Produkte angeboten wurde. Die gewohnte Qualität und Menge sollten sie nur noch gegen eine private Aufzahlung erhalten können. Als Mitglied des Petitions- und Gesundheitsausschusses habe ich die Probleme aufgegriffen und freue ich mich sehr, dass wir eine Lösung gefunden haben.
Was wird neu geregelt?
Bei Ausschreibungen im Hilfsmittelbereich müssen die Krankenkassen künftig bei ihren Vergabeentscheidungen neben dem Preis auch qualitative Anforderungen an die Produkte berücksichtigen, die über die Mindestanforderungen des Hilfsmittelverzeichnisses hinausgehen.
Die Krankenkassen werden verpflichtet, auch bei Hilfsmittelversorgungen, die über eine Ausschreibung zustande gekommen sind, ihren Versicherten Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen aufzahlungsfreien Hilfsmitteln einzuräumen. Darüber hinaus wird klargestellt, dass für Hilfsmittel mit hohem individuellem Anpassungsbedarf keine Ausschreibungen vorgenommen werden.
Das Gesetz garantiert den Versicherten eine bessere Beratung. Leistungserbringer müssen Versicherte künftig beraten, welche Hilfsmittel und zusätzlichen Leistungen innerhalb des Sachleistungssystems für sie geeignet sind und von den Krankenkassen als Regelleistung bezahlt werden. Die Leistungserbringer werden verpflichtet, im Rahmen der Abrechnung mit den Krankenkassen auch die Höhe der mit den Versicherten vereinbarten Mehrkosten anzugeben. Damit wird Transparenz geschaffen.
Auch die Krankenkassen werden zu einer verbesserten Beratung der Versicherten verpflichtet. Bei der Versorgung mit Hilfsmitteln, für die zuvor eine Genehmigung einzuholen ist, müssen die Krankenkassen künftig über ihre Vertragspartner und die wesentlichen Inhalte der abgeschlossenen Verträge informieren. Die Krankenkassen werden zudem verpflichtet, über die von ihnen abgeschlossenen Verträge im Internet zu informieren. Damit können Versicherte die Hilfsmittelangebote verschiedener Krankenkassen vergleichen.
Der GKV-Spitzenverband muss bis zum 31. Dezember 2018 das Hilfsmittelverzeichnis mit über 29.000 Produkte in 33 Produktgruppen grundlegend aktualisieren. Der Spitzenverband wird verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2017 eine Verfahrensordnung zu beschließen, mit der die Aktualität des Verzeichnisses auch künftig gewährleistet wird.
Erstmals bis zum 30. Juni 2018 und danach jährlich muss eine nach Produktgruppen des Hilfsmittelverzeichnisses differenzierter Bericht über die Entwicklung der Mehrkostenvereinbarungen für Versorgungen mit Hilfsmittelleistungen veröffentlicht werden.
Um die wachsenden Anforderungen an die Heilmittelerbringer berücksichtigen zu können und die Attraktivität der Therapieberufe (Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und Podologie) weiter zu steigern, können die Krankenkassen und die Verbände der Heilmittelerbringer in den Jahren 2017 bis 2019 auch Vergütungsvereinbarungen oberhalb der Veränderungsrate (Summe der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung) abschließen. Um die Auswirkungen überprüfen zu können, ist die Regelung auf drei Jahre befristet.
Die Krankenkassen müssen mit den Verbänden der Heilmittelerbringer Verträge über Modellvorhaben zur sogenannten „Blankoverordnung“ von Heilmitteln abschließen. Die Verordnung erfolgt weiterhin durch einen Arzt. Der zuständige Heilmittelerbringer legt die Auswahl, Dauer sowie die Frequenz der Behandlungseinheiten jedoch selbst fest. Damit werden die Heilmittelerbringer stärker in die Versorgungsverantwortung eingebunden. Um zu entscheiden, ob diese Versorgungsform für eine Überführung in die Regelversorgung geeignet ist, ist eine breite Informationsgrundlage notwendig. Deshalb wird nun in jedem Bundesland ein Modellvorhaben durchgeführt.
Daneben wird der Leistungsanspruch auf Sehhilfen für Versicherte, die eine schwere Sehbeeinträchtigung aufweisen, erweitert. Auch die Wundversorgung, der Schutz der Sozialdaten und die Präqualifizierungsverfahren werden verbessert.
SPD setzt sich in Verhandlungen durch
Menschen mit künstlichem Darmausgang und andere Patienten, die Hilfsmittel mit einem hohen Dienstleistungsanteil benötigen, dürfen nicht durch Ausschreibungen mit ständig wechselnden Produkten oder Leistungserbringern konfrontiert werden. Betroffene brauchen in hochsensiblen Situationen vertrauensvolle und verlässliche Hilfe. Deshalb hat sich die SPD in den Verhandlungen dafür eingesetzt, dass die Versorgung mit individuell angefertigten Hilfsmitteln oder Hilfsmitteln mit hohem Dienstleistungsanteil künftig nicht mehr ausgeschrieben werden dürfen.
Ausschreibungen für individuelle Hilfsmittel und Hilfsmittel mit hohem Dienstleistungsanteil werden mit dem HHVG für unzweckmäßig erklärt und die Formulierung „in der Regel“ in § 127 SGB V wird gestrichen.
Damit tragen wir den berechtigten Ängsten und Sorgen der Patientinnen und Patienten Rechnung.
Wirtschaftlichkeit darf nicht der einzige Maßstab sein. Wir brauchen in der Versorgung mit Hilfsmitteln mehr Qualität und mehr Bewusstsein für die individuellen Bedürfnisse der Patienten. Jeder Patient muss davon ausgehen können, dass er bei seiner Krankenkasse ordentlich versorgt wird. Krankenkassen dürfen nicht auf Kosten derjenigen sparen, die sich aus Scham nicht wehren können. Deshalb ist das Heil- und Hilfsmittelgesetz ein Meilenstein in der Hilfsmittelversorgung.
Außerdem konnten wir durchsetzen, dass die Voraussetzungen geschaffen werden, dass steigende Vergütungen für Heilmittelleistungen auch den angestellten Therapeuten zu Gute kommen. Wir stellen Transparenz über die tatsächlich gezahlten Tariflöhne und Arbeitsentgelte her.
9/10-Regelung wird entschärft
Hinzu kommt eine weitere Neuerung, die ihren Ursprung ebenfalls in einer Petition an den Deutschen Bundestages hat. Rentner sind in der Regel in der gesetzlichen Krankenversicherung (KVdR) pflichtversichert und zahlen entsprechend ihrer Rentenhöhe Beiträge. Den KVdR-Status erhalten aber nur Rentner, die mindestens 90 Prozent der zweiten Hälfte ihrer Erwerbszeit gesetzlich versichert waren. Mit dieser Regelung soll verhindert werden, dass privat Versicherte bei steigenden Kosten im Alter in die günstigere GKV wechseln und damit die Vorteile aus beiden Systemen nutzen.
Diese sogenannte 9/10-Regelung ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt, hat aber für die Betroffenen schwerwiegende Folgen. Und zwar dann, wenn Vorversicherungszeiten fehlen und Rentner nicht Mitglied der KVdR werden können. Besonders hart trifft es Frauen, die während der Kindererziehung nicht berufstätig waren und in dieser Zeit über ihren Ehemann privat versichert waren.
Weil die 9/10-Regelung nicht erfüllt wird, muss die Frau unabhängig von ihrer tatsächlichen Rente einen Mindestbeitrag zahlen.
Mit dieser Gesetzesänderung wollen wir jetzt die 9/10-Regelung abmildern. So werden künftig für jedes Kind drei Jahre als Vollversicherungszeit angerechnet. Damit wird es leichter, die 90-Prozent-Versicherungsquote in der GKV zu erreichen. Wir wollen damit Rentnerinnen und Rentnern, helfen, die trotz kleiner Rente einen hohen Beitrag zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung zahlen müssen.