Für die Bürgerversicherung in der Pflege
20-07-2017 „Mein Vater wurde ja damals schon von Willy Brandt geehrt“, teilt mir ein stolzes Mitglied der IG Metall Gewerkschaftsseniorinnen und -senioren Herzogenaurach gleich zu Beginn unserer gemeinsamen Veranstaltung am Mittwoch mit. Der Hitze im
Generationen.Zentrum Herzogenaurach trotzend waren mehr als 60 interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu meinem Vortrag über die aktuelle Situation und bestehenden Reformbedarf im Pflege- und Gesundheitssystem gekommen. Die SPD hat die Stärkung der Pflege in dieser Legislatur zu einem ihrer besonderen Schwerpunkte gemacht. Die Leistungen der Pflegeversicherung haben wir mit den
Pflegestärkungsgesetzen (PSG I-III) erheblich ausgeweitet.Die steigende Lebenserwartung und die Zunahme des Anteils betagter Menschen in unserer Bevölkerung ist ein erfreuliches Zeichen für unseren gesellschaftlichen Fortschritt. Gleichzeitig stellt die steigende Zahl hochaltriger Menschen die Pflegepolitik vor demografische und fachliche Herausforderungen. Was wir in dieser Legislatur für die Pflege erreicht haben, darüber habe ich bereits
in diesem Beitrag berichtet. Heute soll deshalb die Bürgerversicherung in der Pflege im Mittelpunkt stehen, über die ich mit den Gewerkschaftsseniorinnen und -senioren der IG Metall ebenfalls diskutiert habe. Ich danke allen Beteiligten herzlich für den spannenden Nachmittag!
Warum brauchen wir die Bürgerversicherung in der Pflege?
Pflege geht uns alle an und die Weiterentwicklung der Pflegeversicherung zur Bürgerversicherung in der Pflege ist ein wesentlicher Baustein, um auch in Zukunft gute Pflege gewährleisten zu können und das Vertrauen in eine gute Versorgung im Alter zu stärken. Pflegebedürftig kann jede und jeder werden. Deshalb war es gut, dass in Deutschland vor mehr als 20 Jahren die Pflegeversicherung eingeführt wurde.
Die zum Zeitpunkt der Einführung regierende schwarz-gelbe Koalition konnte sich allerdings nur auf ein unzureichendes Versicherungssystem einigen. Bei steigenden Pflegekosten und der auch damals schon steigenden Zahl der Pflegebedürftigen waren die heutigen Probleme vorhersehbar. Im Jahr 2015 mussten – je nach Bundesland – in der Pflegstufe 3 zwischen 1.000 und 2.300 Euro pro Monat von den Pflegebedürftigen zugezahlt werden. Daneben leisten Angehörige einen enormen Anteil der Pflegearbeit. Dieser Anteil ist aber nur schwer genau messbar.
Schon die rot-grüne Bundesregierung setzte sich für die nötigen Reformen der Pflegeversicherung ein. Die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) setzte einen Beirat ein, der Reformvorschläge für die Pflegeversicherung vorlegen sollte. Im Zentrum dieser Empfehlungen stand ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff, den wir in dieser Legislatur endlich umgesetzt haben.
Unter der neuen schwarz-gelben Bundesregierung ab 2009 verfolgten die Gesundheitsminister Rösler und Bahr (FDP) diese Vorschläge aber nicht mehr. Bahr setzte stattdessen auf staatliche Zuschüsse für eine private Zusatzversicherung in der Pflege („Pflege-Bahr“). Wie zu erwarten, erreichte er damit keine Entlastung für Pflegebedürftige – dafür aber ein schönes Zubrot für die privaten Versicherungen.
Das Thema Pflege bewegt viele Menschen. Bei der Frage nach der Pflegequalität haben viele der Befragten Zweifel: Zwar glauben 42 Prozent, die Pflege in der Bundesrepublik sei gut oder sehr gut. Eine Mehrheit von 55 Prozent allerdings hält die Pflegequalität für weniger gut oder sogar schlecht. Bei Personen mit persönlicher Pflegeerfahrung sind es sogar 59 Prozent. Handlungsbedarf sehen die Befragten bei den Rahmenbedingungen in der Pflege. In erster Linie sind das die Verbesserung der Arbeitsbedingungen (71 Prozent) und die bessere Unterstützung pflegender Angehöriger (42 Prozent). Am wichtigsten ist den Befragten, dass mehr Zeit für die persönliche Zuwendung bleibt (68 Prozent) und die Selbstständigkeit von Pflegebedürftigen gefördert wird (54 Prozent). Die Angst vor finanziellen Sorgen spielt bei 36 Prozent eine große Rolle.
Die Befragung bestätigt zudem, dass es der Wunsch der meisten Deutschen ist, im Falle von Pflegebedürftigkeit zuhause leben zu können. Dies geben 70 Prozent an. Fast jeder Zweite wünscht sich dazu einen Mix aus familialer und professioneller Pflege (47 Prozent). Sorgen bereiten vor allem mögliche kognitive Einschränkungen (63 Prozent), die Abhängigkeit von anderen Menschen (56 Prozent) und Einsamkeit (36 bzw. 32 Prozent).
Was ist die Bürgerversicherung in der Pflege?
Wir wollen alle Bürgerinnen und Bürger auf die gleiche Weise versichern. Unser großes Ziel ist die paritätische Bürgerversicherung in Gesundheit und Pflege. Mit der Bürgerversicherung Pflege wollen wir eine bessere Absicherung aller Bürgerinnen und Bürger gegen Pflegerisiken erreichen. Die SPD möchte mit einer Bürgerversicherung auch in der Pflege nachhaltig die Versorgung verbessern, die Solidarität stärken und mehr Finanzierungsgerechtigkeit schaffen.
Die Bürgerversicherung Pflege sollte nach dem Sachleistungsprinzip, das sich in der gesetzlichen Krankenversicherung bewährt hat, ausgestaltet werden. Das schafft Sicherheit und ermöglicht hohe Versorgungsqualität. Der gesetzliche Leistungskatalog ist die Grundlage der Bürgerversicherung in Pflege und Gesundheit. Einen Ausschluss von Leistungen wird es nicht geben. Alles medizinisch Notwendige ist versichert: Zu hundert Prozent und in bester Qualität. In der Bürgerversicherung sind Familienmitglieder ohne eigenes Einkommen und Kinder beitragsfrei mitversichert.
Die pflegebedingten Aufwendungen müssen in vollem Umfang von der Pflegeversicherung finanziert werden. Angehörige, die im Falle der Pflege einspringen können, wohnen in den seltensten Fällen zu Hause. Professionelle Unterstützung ist erforderlich, kann aber in dem derzeitigen System nicht ausreichend finanziert werden. Es kommt sehr häufig zu Beschäftigungsverhältnissen – meist mittel -osteuropäischer Pflege- oder Hilfskräfte zu prekären Arbeitsbedingen. Manchmal wird noch nicht einmal das Arbeitszeitgesetz beachtet, der Mindestlohn gezahlt oder Sozialversicherungsbeiträge abgeführt.
Wie kann die Bürgerversicherung Pflege konkret umgesetzt werden?
Über die Pflegeversicherung können wir einen Einstieg in die Bürgerversicherung schaffen. Viele Angleichungsschritte, die zwischen GKV und PKV für die paritätische Bürgerversicherung in der Gesundheit erforderlich sind, wurden bereits im für die Pflege maßgeblichen Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) entsprechend gleich geregelt. Die Hürden für die Umsetzung einer Bürgerversicherung Pflege sind damit deutlich niedriger als in der Krankenversicherung, was ihre Einführung stark vereinfacht.
Die Versicherungsbedingungen und Leistungen von Sozialer Pflegeversicherung (SPV) und Privater Pflegeversicherung (PPV) sind im Gegensatz zur gesetzlichen und privaten Krankenversicherung schon jetzt annähernd gleich: Bei der PPV darf der Höchstbeitrag der SPV nicht überschritten werden, es gibt keinen Risikozuschlag, Kinder sind beitragsfrei mitversichert und der Leistungsanspruch ist annähernd gleich, weil gesetzlich festgelegt. Es gibt lediglich einen getrennten Risikostrukturausgleich innerhalb der SPVen und zwischen den PPVen. Dieser müsste dann auf alle Anbieter der Bürgerversicherung Pflege ausgeweitet werden.
Der Leistungsanspruch ist für Versicherte der PPV nach Art und Umfang dem Leistungsanspruch für Versichere der SPV bereits jetzt gleichwertig. So steht es bereits heute im Gesetz. Der Leistungsanspruch ist in der SPV und der PPV je nach Pflegestufe gleich festgesetzt – Unterschiede gibt es nicht.
In der PPV gibt es keine eigenen Tarife wie in der ärztlichen Gebührenordnung (GOÄ), die nur für Privatpatienten gilt und dem Arzt ein höheres Honorar sichert. Allerdings wird in der Pflegeversicherung derzeit nur ein Teil der Kosten erstattet. Insofern gibt es dort aktuell keine vollständig finanzierte Sachleistung wie in der GKV.
Eine einheitliche Regelung für die Mitversicherung von Ehepartnern/Lebenspartnern in der Bürgerversicherung Pflege müsste noch folgen. Für Kinder gibt es die Angleichung bereits.