„Die Generalistik in der Pflege sehe ich kritisch“
01-03-2016 - Unsere Gesellschaft wird älter. Der Bedarf an Pflegekräften wird weiter steigen. Heute sind bundesweit 2,63 Millionen Menschen pflegebedürftig. Bis 2030 wird ihre Zahl laut Prognosen auf 3,6 Millionen steigen. Ein Drittel von ihnen, etwa 1,2 Millionen, wird auf stationäre Pflege angewiesen sein. Um dem wachsenden Bedarf an Pflegekräften gerecht zu werden, brauchen wir auch in Zukunft genug junge Menschen, die sich für einen Pflegeberuf entscheiden. Seit einiger Zeit wird politisch um eine zeitgemäße Weiterentwicklung des Pflegeberufes gerungen. Im Ergebnis liegt nun der Kabinettsentwurf für ein Pflegeberufsgesetz vor.
Mit dem Pflegeberufsgesetz legt die Bundesregierung ein umfassendes Maßnahmenpaket zur grundlegenden Neugestaltung der Pflegeberufe vor. Im Mittelpunkt steht dabei die Einführung des neu geregelten Heilberufs der „Pflegefachfrau“ bzw. des „Pflegefachmanns“, der die bisherigen Pflegeberufe (Altenpflege, Krankenpflege und Kinderkrankenpflege) ablöst. Es wird demnach auf eine generalistische berufliche Pflegeausbildung mit einheitlichem Berufsabschluss gesetzt.
Hierzu sieht das Gesetz für die Auszubildenden zukünftig verschiedene Pflichteinsätze in Krankenhäusern, in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen sowie in speziellen Bereichen wie der pädiatrischen und psychiatrischen Versorgung vor.
Gut am vorgelegten Gesetzentwurf ist, dass die Ausbildung kostenfrei sein wird und Auszubildende eine Ausbildungsvergütung erhalten. Das Geld wird über Landesausbildungsfonds bereitgestellt. Hier sollen die Umlagen der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sowie die Direktzuweisungen der Länder und der sozialen Pflegeversicherung einfließen. Die Abschaffung des Schulgeldes war lange überfällig.
Der Zugang zur Ausbildung ist weiterhin breit angelegt. In Verbindung mit einer Erst- oder Pflegehelferausbildung kann auch zukünftig mit einem Hauptschulabschluss eine Ausbildung begonnen werden. Dies ist sehr zu begrüßen, um vielen qualifizierten Menschen die Arbeit in der Pflege zu ermöglichen.
Darüber hinaus wird erstmalig ein Pflegestudium in Ergänzung zur beruflichen Pflegeausbildung als weiterer Qualifizierungsweg, etwa für besondere Leitungsaufgaben, vorgesehen. Klar ist: Wir müssen den Pflegeberuf attraktiver machen. Dafür brauchen wir faire Löhne und weniger bürokratische Hürden.
Den generalistischen Ansatz der Ausbildung als Allheilmittel sehe ich allerdings kritisch. Ich sehe die Gefahr, dass der Pflegeberuf zukünftig zwar breit, aber in den einzelnen Bereichen (Alten-, Kranken- und Kinderpflege) weniger fachlich tief aufgestellt sein wird. Außerdem befürchte ich, dass generalistisch ausgebildete Fachkräfte oft der Altenpflege den Rücken kehren und in die vermeintlich attraktiveren Bereiche der Kinder- und Krankenpflege abwandern. Meiner Meinung nach vernachlässigt der generalistische Ansatz die sehr komplexen Anforderungen der einzelnen Pflegerichtungen. So ignoriert die Generalistik die besondere Situation kranker Kinder und auch die ganz besonderen Anforderungen, die hier an die Pflege gestellt werden.
Ich teile die Befürchtungen der Fachgesellschaften und Verbände für Kinder- und Jugendmedizin, dass Kinderkliniken mit einer erheblichen Belastung zu rechnen haben, weil viele Auszubildende der neuen Pflegeausbildung auch in Kinderkrankenhäusern ausgebildet werden müssen. Auf keinen Fall darf sich dadurch die Pflegesituation auf Säuglings- und Kinderstationen verschlechtern.
6.300 Auszubildenden in der Kinderkrankenpflege stehen rund 126.000 Auszubildende in der Kranken- und Altenpflege gegenüber. Diese Zahlen machen deutlich, dass die pädiatrischen Pflichteinsätze für Auszubildende der Kranken- und Altenpflege durch Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen voraussichtlich nicht geleistet werden können. Alternative Orte für pädiatrische Pflichteinsätze wie Kinderarztpraxen oder Kindertagesstätten halte ich mangels sinnvoller Aufgabenfelder für die Pflege nicht für zweckmäßig.
Für mich steht fest: Kinder und Jugendliche benötigen eine an ihrer spezifischen gesundheitlichen Entwicklung orientierte Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Deshalb muss der Ausbildungsschwerpunkt Gesundheits- und Kinderkrankenpflege in der Erstqualifikation erhalten bleiben. Gegen gemeinsame Ausbildungsinhalte habe ich nichts einzuwenden, aber der Spezialisierung Kinderkrankenpflege muss deutlich mehr theoretische und praktische Ausbildungszeit gewährt werden. Schließlich reicht das Patientenspektrum vom weniger als 500 Gramm leichten Neugeborenen auf der Intensivstation bis zum pubertierenden Jugendlichen.
Die Generalistik darf zu keinem Qualitätsverlust der Pflege in der Kinder- und Jugendmedizin führen. Die Politik muss sich schnellstmöglich darüber klar werden, dass gerade die Kinderkrankenpflege durch die Generalistik an Attraktivität einbüßen wird. Denn in der Kinderkrankenpflege gibt es heute vor allem gut qualifizierte BewerberInnen, zumeist Abiturientinnen und junge Frauen mit Fachhochschulzugangsberechtigung, die sich ganz bewusst für die Kinderkrankenpflege entscheiden. Eine generalistische Ausbildung, die primär auf Erwachsene ausgerichtet ist, ist für diese jungen Menschen nicht attraktiv.
Ähnliche Bedenken sind auch Thema der Petition „Gesundheitsfachberufe – Erhalt des eigenständigen Berufsbildes der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege“, die am 11. April öffentlich beraten wird. Die Petentin setzt sich für eine ausreichende Spezialisierung bzw. Schwerpunktsetzung in der Kinderkrankenpflege ein. Das Pflegeberufsgesetz dürfe nicht dazu führen, dass das eigenständige Berufsfeld der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege abgeschafft würde. Die Petition hat knapp 150.000 Unterschriften erhalten. Ich bin sehr gespannt, was die Anhörung bringt.
Ja, die geplante Reform ist ein wichtiger Schritt. Aber ob sie auch der richtige Schritt ist, davon bin ich derzeit noch nicht überzeugt. Eine abschließende Bewertung der generalistischen Neuorganisation ist jedoch aus meiner Sicht erst dann möglich, wenn die konkreten Inhalte der Ausbildung feststehen. Für die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, in der das Nähere geregelt werden soll, liegt bis dato noch kein Entwurf vor. Ich hoffe, dass die Inhalte des neuen, einheitlichen Curriculums und die Gewichtung der fachlichen Inhalte für Klarheit sorgen werden.