„Egal welchen Weg Du gehst, Du kannst ganz nach oben“
22.01.2016 - „Akademisierungswahn!? Welches Bildungssystem braucht Deutschland?" Das Thema für eine zweistündige Podiumsdiskussion im Erlanger Redoutensaal war bewusst provokant gewählt. Im Kern der von Martina Stamm-Fibich angestoßenen Debatte stand aber nicht Abwertung der akademischen Bildung, sondern die Sorge um den Zerfall des dualen Systems.
„Es geht nicht darum, Kritik an jungen Menschen zu üben, die sich entscheiden zu studieren", sagte Professor Nida-Rümelin zum Beginn seines Impulsvortrags. Der Philosoph und Autor bildete mit Oberstudiendirektor Gerhard Hammer, dem Bundestagsabgeordneten Willi Brase und Siegfried Beck, Gründer „Der Beck" GmbH, das Podium der Veranstaltung. Mit der „Bologna-Reform", die auf die Schaffung eines einheitlichen Europäischen Hochschulraums und die europaweite Harmonisierung von Studiengängen- und abschlüssen ausgerichtet ist, begann der der Absturz des dualen Systems.
„Im Jahr 2006 hat sich die Situation schlagartig verändert. Innerhalb von sechs Jahren haben wir ein Plus von 60 Prozent an Studienanfängern", sagte Nida-Rümelin, der zudem kritisierte, das mit der Abschaffung des Diploms und der Einführung des Bachelors ein international anerkannter Titel komplett unter den Tisch gefallen sei. Zumal ein Bachelor ohne einen anschließenden Master-Abschluss fast nichts wert sei: Zu jung, zu theoretisch, zu wenig Praxisbezug lautet das gängige Urteil, obwohl gerade die Unternehmen mit der Reform der Studiengänge auf gut ausgebildete Arbeitskräfte gehofft hatten.
Die Folge der drastisch zunehmenden Studierenden: Bis zum Jahr 2030 werden drei Millionen Stellen im Bereich der Facharbeiterschaft nicht besetzt werden können, umgekehrt wird es bei den Akademikern einen Überhang von 1,6 Millionen Arbeitsuchenden geben. „Ein Architekt, wird dann als technischer Zeichner arbeiten müssen, ein Jurist als juristischer Assistent", zeichnete Nida-Rümelin ein düsteres Bild. Es sei der falsche Weg, wenn das System rein auf akademische Bildung ausgerichtet werde.
Dass Berufseinsteiger auch über den Weg des dualen Systems Chancen auf eine gute Ausbildung und ein gutes Einkommen haben, zeigte Siegfried Beck auf. Seine 15 Führungskräfte im Unternehmen haben den Weg der dualen Ausbildung durchschritten. Beck verhehlte aber auch nicht, dass die Politik mit der „fahrlässigen" Abschaffung der Meisterpflicht für viele Handwerksberufe im Jahr 2002 einen folgenschweren Fehler begangen habe.
Gerhard Hammer, Leiter des Gymnasiums Fridericanum in Erlangen meinte: „Manchem Schüler würde es guttun, nicht zu studieren. Das Abitur bedeutet nicht, dass man studieren muss." Oft ist es der Wunsch der Eltern, ihren Kindern den höchstmöglichen Abschluss zu ermöglichen. „Die Eltern versuchen da oft reinzupowern", sagte Hammer, der seit der Umstellung auf das G8-Gymnsium zwar keinen eklatanten Abfall des Durchschnitts bei den Abiturnoten feststellen kann, aber anmerkt: „Die Schere zwischen gut und schlecht geht weiter auseinander." Sein Vorschlag: „Wir brauchen im Gymnasium mehr Persönlichkeitsbildung, Werteerziehung, müssen den Respekt vor anderen lernen."
Ein weiterer Kritikpunkt: Kinder müssten sich viel zu früh entscheiden, welche Richtung sie einschlagen. „Warum selektieren wir schon in der 4. Klasse nach oben oder nach unten? Wir müssen Verzweigungen aufzeigen. Nach rechts oder links, nicht nach oben oder unten", forderte Nida-Rümelin. Zumal das deutsche duale Bildungssystem, den jungen Menschen in nahezu jeder Phase die Möglichkeit gibt, in einen anderen Bereich zu wechseln.
Udo Göttemann von der IHK führte aus, dass jährlich 1,2 Milliarden Euro in die private Nachhilfe investiert würden. „Kinder sollen spielen, Eltern brauchen mehr Gelassenheit. Wenn ich als Jurist nach dem Studium als Sachbearbeiter in der Versicherung arbeiten muss, hätte ich das leichter haben können."
Gerade Deutschland, dass dank vieler mittelständischer Marktführer auf dem Weltmarkt eine wirtschaftliche Führungsrolle innehat, ist in erheblichem Maße von gut ausgebildeten und qualifizierten Personal abhängig. Dazu müssten aber auch die Unternehmen jungen Menschen eine Chance bieten und die Messlatte der Anforderungen nicht immer höher schrauben.
Der Bundestagsabgeordnete Willi Brase plädierte für einen „Aufstieg durch Bildung, für alle, egal aus welchen sozialen Verhältnissen. Es muss klar sein: Egal welchen Weg Du gehst, du kannst ganz nach oben."