„Alles was Menschen hilft, ist der richtige Weg“
11-05-2016 - Kein Thema hat Deutschland in den letzten Monaten so bewegt wie die Situation der Flüchtlinge. In der Diskussion kommen die eigentlichen Ursachen für die massenhafte Flucht von Menschen allerdings viel zu kurz. Auf zwei Podiumsdiskussionen in Schwanstetten und Herzogenaurach versuchten die Bundestagsabgeordneten Martina Stamm-Fibich, Gabriela Heinrich und eingeladene Experten Lösungsansätze zu erörtern, wie Menschen in Zukunft sicher in ihren Heimatländern leben können.Rund 60 Millionen Menschen, das sind mehr als nach dem Ende des 2. Weltkriegs, befinden sich derzeit weltweit auf der Flucht. Knapp die Hälfte davon sind Kinder, jedes zehnte jünger als zehn Jahre. Von den Flüchtligen leben nur 14 Prozent in Lagern, rund 40 Millionen zählen zu den Binnenflüchtlingen.
Krieg, Epidemien, Naturkatastrophen, Perspektivlosigkeit, Hunger oder Verfolgung: Die Liste der Gründe, warum Menschen ihre Heimat verlassen müssen, ist lang. Und auch ihre Herkunftsländer. Syrien, Afghanistan, Somalia, Südsudan und der Sudan sind die Länder, aus denen im Jahr 2015 die meisten Menschen geflohen sind. „Die häufigste Ursache für eine Flucht sind bewaffnete Konflikte“, weiß Gabriela Heinrich, Mitglied im Ausschuss für Menschenrecht und humanitäre Hilfe, und Dauergast in den Krisengebieten. „Viele Konflikte nehmen wir gar nicht mehr wahr, weil nicht mehr darüber berichtet wird.“ Darfur, Kongo, Mosambik, Jemen, Lybien, Mali, Kaschmir oder Uganda zählen zu den „vergessenen Krisen“ (Heinrich), die in der öffentlichen Wahrnehmung kaum noch eine Rolle spielen.
Die Bundesregierung hat die humanitäre Hilfe im Jahr 2016 auf 734 Millionen Euro (2014: 303 Millionen) deutlich erhöht. Humanitäre Hilfe ist in jeder Hinsicht der erste Ansatz, den die Völkergemeinschaft im Stande ist, zu leisten. „Alles, was Menschen hilft, ist er der richtige Weg“, sagt Helmut Hetzel, leitender Pfarrer im Seelsorgebereich in Herzogenaurach. Jochen Moninger, der seit vielen Jahren für die Welthungerhilfe arbeitet, sieht ein Zusammenwirken von drei Säulen: „Zuerst kommt die Nothilfe, dann der Aufbau, schließlich die Entwicklung.“ Die Menschen alleine mit Nahrung zu versorgen, reiche nicht aus. „Es muss eine Infrastruktur geschaffen werden. Die Menschen brauchen Brunnen, Wasser, Strom und eine Ausbildung. Viele Menschen fliehen, weil sie zu Hause keine Chance haben, ihre Familie zu ernähren.“
Bis zum Jahr 2030 wollen die UN-Staaten den Hunger und die Armut auf der Erde beenden. Auf dieses ambitionierte Ziel haben sich die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen im Jahr 2015 verständigt (
www.un.org/sustainabledevelopment/blog/2015/08/transforming-our-world-document-adoption/). Aktuell hungern 800 Millionen Menschen. „Wir werden das Problem nie komplett lösen können. Aber wir können viel dafür tun, um die Situation vor Ort zu verbessern“, sagt Moninger.
Wie gezielte humanitäre und entwicklungspolitische Hilfe fruchten kann, zeigte Gabriela Heinrich am Beispiel Tunesien auf. „Tunesien ist der Leuchtturm im arabischen Raum. Sie haben eine der modernsten Verfassungen im Einklang mit den muslimischen Parteien und viele gut ausgebildete junge Menschen.“ Deutschland unterstützt in der Entwicklungspolitik die Rechts-, Justiz-, und Verwaltungsreform im Rahmen des demokratischen Übergangsprozesses in Tunesien, qualifiziert das Regierungs- und Verwaltungssystem und bindet politisch engagierte Frauen mit Trainings- und Vernetzungsangeboten ein.
In Ruanda wurden 90 freiwillige Sozialarbeiterinnen in ziviler Konfliktberatung und Trauma-Bewältigung ausgebildet und vermitteln pro Jahr rund 2000 Fälle. In Dialogforen auf Dorfebene wird ein Abbau von Vorurteilen geleistet.
Im Senegal hatten Supertrawler aus dem Ausland die heimische Fischbestände derart dezimiert, dass einheimische Fischer immer geringere Erträge erzielten und die Preise für die Bevölkerung immer stärker stiegen. Beschlossen wurde daraufhin:
„Man kann mit humanitärer Hilfe sicher kurzfristig helfen, aber auf lange Sicht funktioniert Entwicklung nur, wenn ich Bildung bekomme, die Chance habe, etwas zu erreichen“, sagte Pfarrer Hetzel, der zudem eine „patriarchalische Hilfe“ der westlichen Staaten anprangerte: „Den Menschen vor Ort unsere europäischen Konzepte aufzudrängen“ bringe nichts. „Manchen Länder erwarten aber genau das“, entgegnete Heinrich, „weil sie selber nicht in der Lage sind, Lösungsansätze zu entwickeln.“
Als beschämend empfindet die Politikern das Verhalten einiger Mitgliedsstaaten der EU: „Die, die auch keine Flüchtlinge aufnehmen, stellen auch kein Geld für humanitäre Hilfe zur Verfügung. Eine Sache, die mir viel zu wenig thematisiert wird.“ Was Deutschland und auch Europa fehle, sei ein humanitäres Visa. Damit könne dem kriminellen Geschäft der Schlepperbanden Einhalt geboten werden. „Dafür gibt es aber keine Mehrheit“, stellte Heinrich klar.
Unerlässlich für eine Verbesserung der Zustände in den betroffenen Gebieten ist eine Verzahnung der Aufgaben der Non-Profit-Organisationen mit der Wirtschaft. Der Welthandel muss fairer und gerechter gestaltet werden.
Bezogen auf die Situation in den Flüchtlingslager merkte Dr. Michael Krennerich, vom Lehrstuhl für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik an der Universität Erlangen-Nürnberg an, dass es häufig nur um Kleinigkeiten ginge, mit denen man schon viel Verbesserung für die Menschen erreichen könne. Wie z. B. abschließbare Toiletten und Duschen in den Unterkünften. Und eins ist auch klar: Wir brauchen wieder mehr Frieden auf dieser Erde.